schon wieder ein Abgang aus unseren Reihen . . .
Vielleicht interessiert Euch meine Vorlesung, die ich anlässlich der Eröffnung der Karlheinz Pilcz – Gedächtnisausstellung gehalten habe.
Karlheinz Pilcz war wie Zens ein begnadeter Lehrer.
Und ein Künstler, der schon früh bekannt wurde.
MANUSKRIPT DER VORLESUNG ZUR ERÖFFNUNG DER GEDÄCHTNISAUSSTELLUNG
KARLHEINZ PILCZ – SCHWAMMERLSAUCE
Peter Handke macht sich in der 1982 erschienenen „(Die) Geschichte des Bleistifts“ Gedanken über eine für Künstler (und darüber hinaus für Alle) essenziellen Frage:
„Was entspricht mir als Werkzeug? Nicht die Kamera, auch nicht die Schreibmaschine (und nicht die Füllfeder oder der Pinsel). Aber was entspricht mir als Werkzeug? Der Bleistift“ …..
Für KARLHEINZ PILCZ – von uns Schwammerl genannt – war es die kleine, spitze Gillot-Feder aus feinstem Sheffield-Stahl, die er für seine aufs Präziseste gearbeiteten Tuschfederzeichnungen benutzte. Die Dunkelheiten seiner Kompositionen wurden in nähmaschinenartiger Geschwindigkeit (sein Vater war Schneidermeister) mit Scriptol aufs Papier „gepunktelt“.
Seine Finger waren spitz und zart, fest an den dünnen Federstiel gepresst, oft schwarz von der Tusche. Seine Augen waren rot von der Daueranstrengung und vom Rauch der Zigaretten, sein Überbiss verlieh ihm (bis zur Operation) ein unverwechselbares Profil.
Die gepunktelten Arbeiten wurden das Kennzeichen der zweiten Generation der sogenannten Wiener Schule des phantastischen Realismus (der Ausdruck wurde vom Kunstkritiker Johann Muschik geprägt). Helmut Kies, Peter Proksch, Michael Coudenhove-Kalergi und viele weitere Nachfolger verwendeten diese Zeichentechnik, ebenso unser gemeinsamer Freund Wolfgang Weitzdörfer.
Der Feder entsprach für die Druckgrafik – die seinerzeit einen Boom erlebte (z.B. verkaufte der Galerist Gerersdorfer nummerierte Radierungen preiswert an Studenten) – die sogenannte Radiernadel.
Über die Technik des Künstlers schreibt Paul Cézanne in einem Brief an Emile Bernard (Aix, 21. September 1906) „…. Die technischen Verfahren sind für uns nichts als einfache Mittel, um dem Publikum zu veranschaulichen, was wir selbst empfinden und um uns verständlich zu machen…“
Es beginnen hier 6 kurze Kapitel, die einige meiner Berührungspunkte mit Karlheinz Pilcz aufzeigen:
I.
FRAU PROF. GERDA MATEJKA-FELDEN (1901-1984)
Gerda Matejka-Felden war sicher eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten der Kunstszene seit den 1920er Jahren in Wien und weit darüber hinaus. Sie wurde 1901 im Elsass als Tochter des verdienstvollen Theologen und Politikers Emil Jakob Felden geboren. Sie besuchte ab 1914 die Kunstgewerbeschule in Bremen und studierte 1919-24 an der Akademie der Graphischen Künste in Leipzig.
Sie lebte ab 1924 in Wien und heiratete 1932 den Kulturpolitiker und Linkskatholiken Viktor Matejka (1901-1993). Gerda Matejka-Felden gründete die Fachgruppe Zeichnen und Malen für Arbeitslose und Ausgesteuerte an der Volkshochschule Volksheim Ottakring. 1938 wurde Viktor Matejka verhaftet und mit dem sogenannten Prominententransport nach Dachau verbracht, wo er bis 1944 inhaftiert war. Gerda erhielt Berufsverbot. Nach dem Krieg kam sie 1945 mit einem Lehrauftrag an die Meisterschule für Kunsterziehung an der Akademie der bildenden Künste in Wien, die sie 1947 als a.o.Prof. übernahm.
Zugleich gründet sie mit Karl Lugmayer und Leopold Langhammer den Verein „Künstlerische Volkshochschule“, aus der später auch die „Wiener Kunstschule“ hervorging.
Karlheinz Pilcz maturierte 1958 und fiel bei der zweistufigen Aufnahmsprüfung an der Akademie am Schillerplatz durch. Er war damit in durchaus prominenter Gesellschaft: vor ihm fielen u.a. auch der spätere Rektor und große Maler Herbert Boeckl sowie Adolf Hitler durch…. Wobei bei Zweitem anzumerken wäre, dass ein mittelmäßiger Maler mehr der Welt weniger geschadet hätte als der nachmalige verbrecherische Politiker, der der Abgewiesene dann wurde.
Matejka-Felden nahm Pilcz als Gasthörer auf und er konnte ab Herbst 1959 als ordentlicher Hörer bei ihr studieren. In den folgenden Jahren mutierte er zu einem Lieblingsschüler der Professorin und erhielt 1960 und 1961 den Meisterschulpreis; 1962 erhielt er die Goldene Fügermedaille.
Schwammerl hatte zudem das Privileg, mit Wolfgang Weitzdörfer, der ein Jahr nach ihm an die Akademie kam, bis 1963 ein eigenes Kammerl in der Klasse für Kunsterziehung zu teilen. Beide wurden noch vor Abschluss ihrer Studien Mitglieder im altehrwürdigen Künstlerhaus. Für uns Anfänger waren sie bereits bewundernswerte Meister. 1963 erfolgte der Übertritt von Karlheinz Pilcz in die verwaiste Dobrowsky-Meisterschule, die interimsmäßig von Karl Gunsam geleitet wurde. 1965 übernahm Max Weiler die Dobrowsky-Klasse und Karlheinz Pilcz erhielt sein Malereidiplom 1966, seine Lehramtsprüfung machte er 1968.
Ich maturierte 1962 und kam im Herbst dieses Jahres an die Akademie – als ehemaliger Kursbesucher der Künstlerischen Volkshochschule selbstverständlich auch in die Klasse von Gerda Matejka-Felden. Auch ich stieg in ihrer Gunst auf und erhielt 1964 den Klassenpreis, 1965 den Meisterschulpreis.
In der Zwischenzeit wollte ich ebenfalls Malerei statt Kunsterziehung studieren; da es unmöglich war, bei Matejka-Felden ein Malereidiplom zu erwerben, wechselte ich in eine Meisterschule, und zwar in die von Prof. Sergius Pauser, der auch die verwaiste Klasse Gütersloh übernommen hatte. Diese wurde interimsmäßig von seinem Assistenten Martin Polasek geleitet; 1966 erhielt ich das Diplom für Malerei und mit dem Abgangspreis die höchste Auszeichnung der Akademie der bildenden Künste. Anschließend begann ich einige Semester Bühnenbild bei Lois Egg zu studieren und wurde 1967 mit der Goldenen Fügermedaille ausgezeichnet. Schließlich legte ich 1970 die Lehramtsprüfung für Kunst- und Werkerziehung ab.
II.
DIE EPISODE HELMI
1963 kam Helma Neuberger (1944-1997) in die Kunsterzieherklasse von Frau Prof. Gerda Matejka-Felden.
Sie war überaus wohlproportioniert, hatte prächtige feste blonde Haare und einen schönen, sinnlichen Mund. Helmi war sehr ernsthaft, fleißig und unnahbar. Ich bemühte mich, ihr zu imponieren und sie zu erobern, aber sie hatte andere Vorstellungen und war bereits nach kurzer Zeit in unseren Studienkollegen Herwig Steiner verliebt…. Herwig war ein überaus begabter Mensch, charmant, intelligent und vielseitig: er war ein hervorragender Zeichner, ein leidenschaftlicher Gitarrist in der Flamenco-Tradition und Violinist, ein brillanter Schachspieler und ein Frauenheld, der immer von jungen Damen umschwärmt war. Schließlich trat auch noch Karlheinz Pilcz als Verehrer von Helmi auf den Plan….
Der Höhepunkt dieses Dreier-Radels war eine Party in der Wohnung von Helmis Eltern im 10. Wiener Gemeindebezirk. Es wurde viel getrunken, laute Musik gespielt, auch geküsst und geknutscht. Zwischendurch ging ich des Öfteren vom Stand in eine Brücke (ich war Amateurringer und vielfacher Wiener Meister) und überredete Herwig mit mir einige zirkuskunststückartige Überschläge zu machen. Plötzlich kam ein Gewitter auf und ein Kugelblitz rollte mit Getöse durch ein offenes Fenster zur Tür hinaus…
Panische Stille folgte.
Helmi hatte danach eine Nachdenkpause nötig, sie fuhr für einige Zeit weit weg von uns nach Vorarlberg und schrieb mir einen lieben Abschiedsbrief, den ich erst vor einem halben Jahr vernichtet habe – ein Fehler, den ich bereits sehr bereue.
Als sie wieder in Wien zurück war, widmete sie sich immer offensichtlicher dem Schwammerl. Er schien ihr der Seriöseste in der Runde zu sein – was sich dann auch für sie als die tragfähigste Lösung herausstellte und 1968 zu einer Heirat und glücklichen Ehe führte, die bis zu Helmis tragischem Unfalltod 1997 währte.
III.
DAS MENSA-WAGERL
Im Katalog zu der von Karlheinz Pilcz 2003 gestalteten Ausstellung „Beispiele der Österreichischen Graphik des 20. Jahrhunderts“ aus seiner Privatsammlung in der Mödlinger Stadtgalerie Sala Terrena schrieb er im Kapitel über Wolfgang Weitzdörfer u.a.:
Wir „holten, um Geld zu verdienen, monatelang täglich von Montag bis Freitag für die Mensa in der Akademie das gesamte Mittagessen aus einer Studentenküche in der Führichgasse und transportierten es in großen Töpfen auf einem kleinen Wagen bei jedem Wetter quer durch die Innenstadt….“ Der Handwagen hatte vier kleine Gummiräder, eine Ladefläche ohne Aufbau und wurde gezogen; der „Beifahrer“ schob von hinten und sicherte zugleich die Aluminium-Transportkannen. Eine davon war meist mit etwa 40 Liter Suppe gefüllt, in der zweiten befand sich der jeweilige Hauptgang des Menüs.
Wenn Schwammerl keine Zeit oder Lust hatte, durfte ich an seiner Stelle diesen Dienst mit Wolfi versehen – was für arme Studenten wie mich ein Glück war, denn man erhielt neben ein bisschen Geld auch ein Mittagsmenü von Frau Kröner, der Mensachefin.
Einmal passierte es, dass durch zu schnelles Kurvenfahren das Wagerl umkippte und die Kannen auf die Straße rollten. Die Deckel lösten sich, aus dem einen Topf wurde etwas Suppe verschüttet, aus dem anderen Behälter rollten etliche Fleischlaberln auf die Straße. Aus Angst, den guten Job zu verlieren, wurde der Suppentopf noch unterwegs mit frischem Hochquellwasser aufgefüllt, die Fleischlaberln klaubten wir auf, putzten sie sorgfältig und legten sie wieder in den Behälter zurück…
Wir aßen an diesem Tag Leberkäs-Semmeln.
IV.
DER LEGENDÄRE ABENDAKT
Damals, in den 60er Jahren mussten alle Studentinnen und Studenten sämtlicher Studienrichtungen den sogenannten Abendakt besuchen. Auch Karlheinz Pilcz und ich waren mehr oder weniger regelmäßig von Montag bis Donnerstag 17 – 19 Uhr im Anatomiesaal anwesend. Der Abendakt wurde bis 1962 vom damals schon gebrechlichen Herbert Boeckl geleitet. Boeckl in all seiner Widersprüchlichkeit zu würdigen, wäre Thema für ein Kunstgeschichts-Seminar. „Boeckl war stark, aber nicht frei, er war besessen und ängstlich, triebhaft bis zur Hemmungslosigkeit, fromm und kontemplativ…“ (Michael Gutenbrunner, Vortrag im Aktsaal der Akademie der bildenden Künste, 8.6.1977) Wir Jungen wussten damals nicht viel von seiner Karriere, seiner späten NSDAP-Mitgliedschaft, seiner neidvollen Konkurrenz zum früh verstorbenen Schiele („ah, ah, er ist verbrannt…“) und zum international erfolgreichen Oskar Kokoschka. Einmal sprach er kurz von Velazquez: „… ah, ah, der Velazquez…“, von silbriger Farbe und dem speziellen Charakter des Mondlichts… Für uns war er ein Gigant im Gegenlicht; seine Silhouette glich einem naturalisierten Orang-Utan.
Wesentlich unterstützt wurde der nur mehr selten persönlich auftretende Meister von seinem langjährigen Assistenten Claus Pack, der die Modelle stellte, beleuchtete und spontan hochinteressante kunstphilosophische Vorträge hielt.
V.
DIE GALERIE SYNTHESE
Für 2 Jahre leitete Karlheinz Pilcz die Galerie Synthese im Souterrain der Firma Baumgartner am Graben 12 im Zentrum Wiens. Er ermöglichte zahlreichen Freunden und Kollegen, ihre Arbeiten erstmals öffentlich zu präsentieren – so auch mir. Gemeinsam mit unserem Studienfreund Peter Aichholzer, der Ölbilder ausstellte, und Wolfgang Weitzdörfer, der kleine Objekte zeigte, stellte ich im Februar/März1965 Grafiken aus.
Claus Pack rezensierte die Ausstellung in der „Presse“ so: „…die Grafiken von Gutruf stellen sich in den vor der Landschaft entstandenen Blättern, der Insel Krk zum Beispiel, einem leidenschaftlichen wenn auch skurrilem Erlebnis, das in den minutiös durchgeführten Veduten dekorativeren und illustrativeren Charakter gewinnt. Hier ist ein wirkliches Streben nach Essentiellerem zu spüren…“
In den angesprochenen kleinformatigen Veduten – von denen zurzeit eine in meiner laufenden Ausstellung im Gauermann-Museum in Scheuchenstein (bis 30. November 2019) zu sehen ist – näherte ich mich für kurze Zeit dem Wiener Surrealismus an.
Übrigens bezeichnete Gerda Matejka-Felden diese typisch österreichische Kunstrichtung als „pornographischen Biedermeier“. Sie dachte wahrscheinlich dabei vor allem an die gewaltigen Brüste und Ärsche in den Fuchs-Bildern, die verwandelt in märchenhafter Form auch bei Wolfgang Hutter auftauchen.
Doch schon nach einigen Arbeiten in dieser Manier konnte ich die Verlockungen der Wiener-Schule-Technik zugunsten anderer stilistischer Experimente überwinden. Die Versuchung lag in der Hoffnung auf raschen Erfolg: fast alle Wiener-Schule-Repräsentanten der ersten Generation waren Akademieprofessoren, Ernst Fuchs besaß 3 Rolls Royce und selbst Helmut Kies fuhr riesige amerikanische Autos…
Schließlich verband mich mit Karlheinz Pilcz auch eine gemeinsame Liebe zur
VI.
KULTURLANDSCHAFT UND EINEM GEWACHSENEN STADTBILD
Wir sprechen hier von den 1960er Jahren.
In einer falsch verstandenen Wiederaufbau-Euphorie, vermengt mit persönlichem Bereicherungsdrang und einem fehlgeleiteten ästhetischen Empfinden, wurden unzählige Baudenkmäler zerstört.
Als abstoßendstes Beispiel in der Nähe von Wien bzw. Mödling nenne ich die Demolierung der Weilburg in Baden.
Der gefeierte Architekt Joseph Kornhäusl errichtete den prachtvollen Bau von 1820-23 für Erzherzog Carl, der ihn seiner jungen Frau Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg schenkte. Schloss Weilburg galt als eines der bedeutendsten klassizistischen Bauwerke Österreichs; es war weithin sichtbar und durch seine Lage am Eingang zum Helenental oftmaliges Motiv für Maler und Grafiker. 1945 wurde das Schlossabgefackelt.
Die finale Sprengung der Brandruine – die ohne weiteres hätte wiederhergestellt werden können – erfolgte am 19. August 1964, wobei sowohl das Bundesdenkmalamt als auch der Badener Bürgermeister Viktor Wallner (der Vater der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz, die sich von ihm distanzierte) eine unrühmliche Rolle spielten.
Ich sprach diese Problematik bei der Eröffnung meiner Ausstellung “Stadtlandschaften“1978 in der Galerie Zweymüller in Baden an; insgesamt mit drei Bürgermeistern der „Kaiserstadt“lag ich im Clinch, da ich ihre Bausünden öffentlich anprangerte. Gerhard Tötschinger, Sigi Schenk und Otto Brusatti waren zeitweise meine Mitstreiter.
Der entsprechende Sündenfall in Mödling war – glaube ich – der Bau eines grauenhaften Bankgebäudes am Freiheitsplatz nach dem Abriss eines alten Hauses.
Das Problem liegt unter anderem darin, dass die Bürgermeister (nur in Österreich) Bauinstanz erster Ordnung sind.
Aber das wäre wieder ein Thema für neue Vorlesungen.
Zurzeit läuft noch die Kampagne gegen das monströse Heumarkt-Hochhaus-Projekt in Wien, wo der Gemeinderat gegen die Weltkulturerbe-Vereinbarung gestimmt hat…
Lieber Karlheinz,
Du hast Deinen Beitrag auf vielen Ebenen geleistet. Für Dein Wirken gebührt Dir großer Dank. In Deinen Zeichnungen, Druckgrafiken und literarischen Werken lebst Du weiter.
Aber: Die Bemühungen um die Bedeutung von Kunst und Kultur hören nie auf!
Resümee zur BÖKWE Fachtagung
/in Allgemein /von Wolfgang WeinlichResümee zur BÖKWE Fachtagung; Überarbeitung 1
Resümee zur BÖKWE Fachtagung; Überarbeitung 1 (verschoben)
Link des Campus Radios zur BÖKWE Fachtagung 2019
/in Allgemein /von Wolfgang WeinlichTagung Kunst und Werkpädagogik analog digital
di(gi)alog in Graz von 18.-20. Oktober 2019 war ein voller Erfolg!https://radioigel.at/bokwe-fachtagung-2019/?fbclid=IwAR0Ix761xWOkJKfvrK7jc-dKaZtslVvKLMVRKIhqeqimuJgWwKgr2pU6CvQ
Karlheinz Pilcz Gedächtnisausstellung
/in Allgemein /von Wolfgang WeinlichLiebe BOEKWE – Macherinnen uind Macher,
schon wieder ein Abgang aus unseren Reihen . . .
Vielleicht interessiert Euch meine Vorlesung, die ich anlässlich der Eröffnung der Karlheinz Pilcz – Gedächtnisausstellung gehalten habe.
Karlheinz Pilcz war wie Zens ein begnadeter Lehrer.
Und ein Künstler, der schon früh bekannt wurde.
Autor: Gerhard Gutruf (http://www.gutruf.at/)
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MANUSKRIPT DER VORLESUNG ZUR ERÖFFNUNG DER GEDÄCHTNISAUSSTELLUNG
KARLHEINZ PILCZ – SCHWAMMERLSAUCE
Peter Handke macht sich in der 1982 erschienenen „(Die) Geschichte des Bleistifts“ Gedanken über eine für Künstler (und darüber hinaus für Alle) essenziellen Frage:
„Was entspricht mir als Werkzeug? Nicht die Kamera, auch nicht die Schreibmaschine (und nicht die Füllfeder oder der Pinsel). Aber was entspricht mir als Werkzeug? Der Bleistift“ …..
Für KARLHEINZ PILCZ – von uns Schwammerl genannt – war es die kleine, spitze Gillot-Feder aus feinstem Sheffield-Stahl, die er für seine aufs Präziseste gearbeiteten Tuschfederzeichnungen benutzte. Die Dunkelheiten seiner Kompositionen wurden in nähmaschinenartiger Geschwindigkeit (sein Vater war Schneidermeister) mit Scriptol aufs Papier „gepunktelt“.
Seine Finger waren spitz und zart, fest an den dünnen Federstiel gepresst, oft schwarz von der Tusche. Seine Augen waren rot von der Daueranstrengung und vom Rauch der Zigaretten, sein Überbiss verlieh ihm (bis zur Operation) ein unverwechselbares Profil.
Die gepunktelten Arbeiten wurden das Kennzeichen der zweiten Generation der sogenannten Wiener Schule des phantastischen Realismus (der Ausdruck wurde vom Kunstkritiker Johann Muschik geprägt). Helmut Kies, Peter Proksch, Michael Coudenhove-Kalergi und viele weitere Nachfolger verwendeten diese Zeichentechnik, ebenso unser gemeinsamer Freund Wolfgang Weitzdörfer.
Der Feder entsprach für die Druckgrafik – die seinerzeit einen Boom erlebte (z.B. verkaufte der Galerist Gerersdorfer nummerierte Radierungen preiswert an Studenten) – die sogenannte Radiernadel.
Über die Technik des Künstlers schreibt Paul Cézanne in einem Brief an Emile Bernard (Aix, 21. September 1906) „…. Die technischen Verfahren sind für uns nichts als einfache Mittel, um dem Publikum zu veranschaulichen, was wir selbst empfinden und um uns verständlich zu machen…“
Es beginnen hier 6 kurze Kapitel, die einige meiner Berührungspunkte mit Karlheinz Pilcz aufzeigen:
I.
FRAU PROF. GERDA MATEJKA-FELDEN (1901-1984)
Gerda Matejka-Felden war sicher eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten der Kunstszene seit den 1920er Jahren in Wien und weit darüber hinaus. Sie wurde 1901 im Elsass als Tochter des verdienstvollen Theologen und Politikers Emil Jakob Felden geboren. Sie besuchte ab 1914 die Kunstgewerbeschule in Bremen und studierte 1919-24 an der Akademie der Graphischen Künste in Leipzig.
Sie lebte ab 1924 in Wien und heiratete 1932 den Kulturpolitiker und Linkskatholiken Viktor Matejka (1901-1993). Gerda Matejka-Felden gründete die Fachgruppe Zeichnen und Malen für Arbeitslose und Ausgesteuerte an der Volkshochschule Volksheim Ottakring. 1938 wurde Viktor Matejka verhaftet und mit dem sogenannten Prominententransport nach Dachau verbracht, wo er bis 1944 inhaftiert war. Gerda erhielt Berufsverbot. Nach dem Krieg kam sie 1945 mit einem Lehrauftrag an die Meisterschule für Kunsterziehung an der Akademie der bildenden Künste in Wien, die sie 1947 als a.o.Prof. übernahm.
Zugleich gründet sie mit Karl Lugmayer und Leopold Langhammer den Verein „Künstlerische Volkshochschule“, aus der später auch die „Wiener Kunstschule“ hervorging.
Karlheinz Pilcz maturierte 1958 und fiel bei der zweistufigen Aufnahmsprüfung an der Akademie am Schillerplatz durch. Er war damit in durchaus prominenter Gesellschaft: vor ihm fielen u.a. auch der spätere Rektor und große Maler Herbert Boeckl sowie Adolf Hitler durch…. Wobei bei Zweitem anzumerken wäre, dass ein mittelmäßiger Maler mehr der Welt weniger geschadet hätte als der nachmalige verbrecherische Politiker, der der Abgewiesene dann wurde.
Matejka-Felden nahm Pilcz als Gasthörer auf und er konnte ab Herbst 1959 als ordentlicher Hörer bei ihr studieren. In den folgenden Jahren mutierte er zu einem Lieblingsschüler der Professorin und erhielt 1960 und 1961 den Meisterschulpreis; 1962 erhielt er die Goldene Fügermedaille.
Schwammerl hatte zudem das Privileg, mit Wolfgang Weitzdörfer, der ein Jahr nach ihm an die Akademie kam, bis 1963 ein eigenes Kammerl in der Klasse für Kunsterziehung zu teilen. Beide wurden noch vor Abschluss ihrer Studien Mitglieder im altehrwürdigen Künstlerhaus. Für uns Anfänger waren sie bereits bewundernswerte Meister. 1963 erfolgte der Übertritt von Karlheinz Pilcz in die verwaiste Dobrowsky-Meisterschule, die interimsmäßig von Karl Gunsam geleitet wurde. 1965 übernahm Max Weiler die Dobrowsky-Klasse und Karlheinz Pilcz erhielt sein Malereidiplom 1966, seine Lehramtsprüfung machte er 1968.
Ich maturierte 1962 und kam im Herbst dieses Jahres an die Akademie – als ehemaliger Kursbesucher der Künstlerischen Volkshochschule selbstverständlich auch in die Klasse von Gerda Matejka-Felden. Auch ich stieg in ihrer Gunst auf und erhielt 1964 den Klassenpreis, 1965 den Meisterschulpreis.
In der Zwischenzeit wollte ich ebenfalls Malerei statt Kunsterziehung studieren; da es unmöglich war, bei Matejka-Felden ein Malereidiplom zu erwerben, wechselte ich in eine Meisterschule, und zwar in die von Prof. Sergius Pauser, der auch die verwaiste Klasse Gütersloh übernommen hatte. Diese wurde interimsmäßig von seinem Assistenten Martin Polasek geleitet; 1966 erhielt ich das Diplom für Malerei und mit dem Abgangspreis die höchste Auszeichnung der Akademie der bildenden Künste. Anschließend begann ich einige Semester Bühnenbild bei Lois Egg zu studieren und wurde 1967 mit der Goldenen Fügermedaille ausgezeichnet. Schließlich legte ich 1970 die Lehramtsprüfung für Kunst- und Werkerziehung ab.
II.
DIE EPISODE HELMI
1963 kam Helma Neuberger (1944-1997) in die Kunsterzieherklasse von Frau Prof. Gerda Matejka-Felden.
Sie war überaus wohlproportioniert, hatte prächtige feste blonde Haare und einen schönen, sinnlichen Mund. Helmi war sehr ernsthaft, fleißig und unnahbar. Ich bemühte mich, ihr zu imponieren und sie zu erobern, aber sie hatte andere Vorstellungen und war bereits nach kurzer Zeit in unseren Studienkollegen Herwig Steiner verliebt…. Herwig war ein überaus begabter Mensch, charmant, intelligent und vielseitig: er war ein hervorragender Zeichner, ein leidenschaftlicher Gitarrist in der Flamenco-Tradition und Violinist, ein brillanter Schachspieler und ein Frauenheld, der immer von jungen Damen umschwärmt war. Schließlich trat auch noch Karlheinz Pilcz als Verehrer von Helmi auf den Plan….
Der Höhepunkt dieses Dreier-Radels war eine Party in der Wohnung von Helmis Eltern im 10. Wiener Gemeindebezirk. Es wurde viel getrunken, laute Musik gespielt, auch geküsst und geknutscht. Zwischendurch ging ich des Öfteren vom Stand in eine Brücke (ich war Amateurringer und vielfacher Wiener Meister) und überredete Herwig mit mir einige zirkuskunststückartige Überschläge zu machen. Plötzlich kam ein Gewitter auf und ein Kugelblitz rollte mit Getöse durch ein offenes Fenster zur Tür hinaus…
Panische Stille folgte.
Helmi hatte danach eine Nachdenkpause nötig, sie fuhr für einige Zeit weit weg von uns nach Vorarlberg und schrieb mir einen lieben Abschiedsbrief, den ich erst vor einem halben Jahr vernichtet habe – ein Fehler, den ich bereits sehr bereue.
Als sie wieder in Wien zurück war, widmete sie sich immer offensichtlicher dem Schwammerl. Er schien ihr der Seriöseste in der Runde zu sein – was sich dann auch für sie als die tragfähigste Lösung herausstellte und 1968 zu einer Heirat und glücklichen Ehe führte, die bis zu Helmis tragischem Unfalltod 1997 währte.
III.
DAS MENSA-WAGERL
Im Katalog zu der von Karlheinz Pilcz 2003 gestalteten Ausstellung „Beispiele der Österreichischen Graphik des 20. Jahrhunderts“ aus seiner Privatsammlung in der Mödlinger Stadtgalerie Sala Terrena schrieb er im Kapitel über Wolfgang Weitzdörfer u.a.:
Wir „holten, um Geld zu verdienen, monatelang täglich von Montag bis Freitag für die Mensa in der Akademie das gesamte Mittagessen aus einer Studentenküche in der Führichgasse und transportierten es in großen Töpfen auf einem kleinen Wagen bei jedem Wetter quer durch die Innenstadt….“ Der Handwagen hatte vier kleine Gummiräder, eine Ladefläche ohne Aufbau und wurde gezogen; der „Beifahrer“ schob von hinten und sicherte zugleich die Aluminium-Transportkannen. Eine davon war meist mit etwa 40 Liter Suppe gefüllt, in der zweiten befand sich der jeweilige Hauptgang des Menüs.
Wenn Schwammerl keine Zeit oder Lust hatte, durfte ich an seiner Stelle diesen Dienst mit Wolfi versehen – was für arme Studenten wie mich ein Glück war, denn man erhielt neben ein bisschen Geld auch ein Mittagsmenü von Frau Kröner, der Mensachefin.
Einmal passierte es, dass durch zu schnelles Kurvenfahren das Wagerl umkippte und die Kannen auf die Straße rollten. Die Deckel lösten sich, aus dem einen Topf wurde etwas Suppe verschüttet, aus dem anderen Behälter rollten etliche Fleischlaberln auf die Straße. Aus Angst, den guten Job zu verlieren, wurde der Suppentopf noch unterwegs mit frischem Hochquellwasser aufgefüllt, die Fleischlaberln klaubten wir auf, putzten sie sorgfältig und legten sie wieder in den Behälter zurück…
Wir aßen an diesem Tag Leberkäs-Semmeln.
IV.
DER LEGENDÄRE ABENDAKT
Damals, in den 60er Jahren mussten alle Studentinnen und Studenten sämtlicher Studienrichtungen den sogenannten Abendakt besuchen. Auch Karlheinz Pilcz und ich waren mehr oder weniger regelmäßig von Montag bis Donnerstag 17 – 19 Uhr im Anatomiesaal anwesend. Der Abendakt wurde bis 1962 vom damals schon gebrechlichen Herbert Boeckl geleitet. Boeckl in all seiner Widersprüchlichkeit zu würdigen, wäre Thema für ein Kunstgeschichts-Seminar. „Boeckl war stark, aber nicht frei, er war besessen und ängstlich, triebhaft bis zur Hemmungslosigkeit, fromm und kontemplativ…“ (Michael Gutenbrunner, Vortrag im Aktsaal der Akademie der bildenden Künste, 8.6.1977) Wir Jungen wussten damals nicht viel von seiner Karriere, seiner späten NSDAP-Mitgliedschaft, seiner neidvollen Konkurrenz zum früh verstorbenen Schiele („ah, ah, er ist verbrannt…“) und zum international erfolgreichen Oskar Kokoschka. Einmal sprach er kurz von Velazquez: „… ah, ah, der Velazquez…“, von silbriger Farbe und dem speziellen Charakter des Mondlichts… Für uns war er ein Gigant im Gegenlicht; seine Silhouette glich einem naturalisierten Orang-Utan.
Wesentlich unterstützt wurde der nur mehr selten persönlich auftretende Meister von seinem langjährigen Assistenten Claus Pack, der die Modelle stellte, beleuchtete und spontan hochinteressante kunstphilosophische Vorträge hielt.
V.
DIE GALERIE SYNTHESE
Für 2 Jahre leitete Karlheinz Pilcz die Galerie Synthese im Souterrain der Firma Baumgartner am Graben 12 im Zentrum Wiens. Er ermöglichte zahlreichen Freunden und Kollegen, ihre Arbeiten erstmals öffentlich zu präsentieren – so auch mir. Gemeinsam mit unserem Studienfreund Peter Aichholzer, der Ölbilder ausstellte, und Wolfgang Weitzdörfer, der kleine Objekte zeigte, stellte ich im Februar/März1965 Grafiken aus.
Claus Pack rezensierte die Ausstellung in der „Presse“ so: „…die Grafiken von Gutruf stellen sich in den vor der Landschaft entstandenen Blättern, der Insel Krk zum Beispiel, einem leidenschaftlichen wenn auch skurrilem Erlebnis, das in den minutiös durchgeführten Veduten dekorativeren und illustrativeren Charakter gewinnt. Hier ist ein wirkliches Streben nach Essentiellerem zu spüren…“
In den angesprochenen kleinformatigen Veduten – von denen zurzeit eine in meiner laufenden Ausstellung im Gauermann-Museum in Scheuchenstein (bis 30. November 2019) zu sehen ist – näherte ich mich für kurze Zeit dem Wiener Surrealismus an.
Übrigens bezeichnete Gerda Matejka-Felden diese typisch österreichische Kunstrichtung als „pornographischen Biedermeier“. Sie dachte wahrscheinlich dabei vor allem an die gewaltigen Brüste und Ärsche in den Fuchs-Bildern, die verwandelt in märchenhafter Form auch bei Wolfgang Hutter auftauchen.
Doch schon nach einigen Arbeiten in dieser Manier konnte ich die Verlockungen der Wiener-Schule-Technik zugunsten anderer stilistischer Experimente überwinden. Die Versuchung lag in der Hoffnung auf raschen Erfolg: fast alle Wiener-Schule-Repräsentanten der ersten Generation waren Akademieprofessoren, Ernst Fuchs besaß 3 Rolls Royce und selbst Helmut Kies fuhr riesige amerikanische Autos…
Schließlich verband mich mit Karlheinz Pilcz auch eine gemeinsame Liebe zur
VI.
KULTURLANDSCHAFT UND EINEM GEWACHSENEN STADTBILD
Wir sprechen hier von den 1960er Jahren.
In einer falsch verstandenen Wiederaufbau-Euphorie, vermengt mit persönlichem Bereicherungsdrang und einem fehlgeleiteten ästhetischen Empfinden, wurden unzählige Baudenkmäler zerstört.
Als abstoßendstes Beispiel in der Nähe von Wien bzw. Mödling nenne ich die Demolierung der Weilburg in Baden.
Der gefeierte Architekt Joseph Kornhäusl errichtete den prachtvollen Bau von 1820-23 für Erzherzog Carl, der ihn seiner jungen Frau Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg schenkte. Schloss Weilburg galt als eines der bedeutendsten klassizistischen Bauwerke Österreichs; es war weithin sichtbar und durch seine Lage am Eingang zum Helenental oftmaliges Motiv für Maler und Grafiker. 1945 wurde das Schlossabgefackelt.
Die finale Sprengung der Brandruine – die ohne weiteres hätte wiederhergestellt werden können – erfolgte am 19. August 1964, wobei sowohl das Bundesdenkmalamt als auch der Badener Bürgermeister Viktor Wallner (der Vater der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz, die sich von ihm distanzierte) eine unrühmliche Rolle spielten.
Ich sprach diese Problematik bei der Eröffnung meiner Ausstellung “Stadtlandschaften“1978 in der Galerie Zweymüller in Baden an; insgesamt mit drei Bürgermeistern der „Kaiserstadt“lag ich im Clinch, da ich ihre Bausünden öffentlich anprangerte. Gerhard Tötschinger, Sigi Schenk und Otto Brusatti waren zeitweise meine Mitstreiter.
Der entsprechende Sündenfall in Mödling war – glaube ich – der Bau eines grauenhaften Bankgebäudes am Freiheitsplatz nach dem Abriss eines alten Hauses.
Das Problem liegt unter anderem darin, dass die Bürgermeister (nur in Österreich) Bauinstanz erster Ordnung sind.
Aber das wäre wieder ein Thema für neue Vorlesungen.
Zurzeit läuft noch die Kampagne gegen das monströse Heumarkt-Hochhaus-Projekt in Wien, wo der Gemeinderat gegen die Weltkulturerbe-Vereinbarung gestimmt hat…
Lieber Karlheinz,
Du hast Deinen Beitrag auf vielen Ebenen geleistet. Für Dein Wirken gebührt Dir großer Dank. In Deinen Zeichnungen, Druckgrafiken und literarischen Werken lebst Du weiter.
Aber: Die Bemühungen um die Bedeutung von Kunst und Kultur hören nie auf!
Wir kämpfen in Deinem Sinn weiter!
Gerhard, 25.10.2019